Orchideen in Baden-Württemberg
Himantoglossum hircinum (L.) Spreng.
Bocksriemenzunge
Synonyme: Loroglossum hircinum
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Merkmale
Rhizomgeophyt mit zur Blütezeit zwei unterirdischen Knollen. Der Spross für das Folgejahr entwickelt sich nach der Blütezeit aus der Tochterknolle; er treibt schon im Spätsommer oberirdische Blätter, die auch im Winter bei günstiger Witterung assimilieren können. Gleichzeitig wächst bereits eine neue Knolle, die nach der Blütezeit der vorjährigen Knolle den nächsten Spross bildet. Kräftige Pflanzen entwickeln aus der Laubblattrosette im Frühjahr starke Blütentriebe, die mit kantigem Stängel 25 - 75 cm hoch werden. Insgesamt entwickeln sich 8 - 14 Blätter, davon 2 – 4 als grundständige Rosettenblätter. Diese sind breit-elliptisch bis länglich-eiförmig, reich geädert und fleischig. Anfangs sind diese Blätter hellgrün, verlieren zur Blütezeit aber ihr Chlorophyll, werden braun und sterben ab. Diese Grundblätter werden 10 – 20 cm lang und 2 – 6,5 cm breit. Nach oben folgen 4 - 11 kleiner werdende stängelumfassende Laubblätter. Das oberste Stängelblatt wird 5 – 12 cm lang und reicht noch in den Blütenstand hinein. Der Blütenstand wird 10 – 35 cm lang und trägt 15 - 120 Blüten, die stark nach Ziegenbock riechen. Die unteren Tragblätter werden mit 3 – 5 cm doppelt so lang wie der Fruchtknoten. Die Perigonblätter neigen sich helmförmig zusammen. Auf der Außenseite sind sie grünlich gefärbt, auf der Innenseite auf olivfarbenem Grund rotbraun gestreift oder punktiert. Seitliche Sepalen sind 10 – 14 lang und 5 - 7 mm breit, eiförmig und konkav; das mittlere Sepal ist etwas kleiner. Petalen 7 – 10 mm lang und 2 – 3 mm breit, schmal lanzettlich. Die Lippe ist extrem dreilappig, im Knospenzustand eingerollt, grünlich bis grünlich braun, an der Basis auf weißlichem Grund meistens mit roten Saftmalen besetzt, an den Rändern gewellt. Der Mittellappen ist riemenförmig langestreckt mit 34 – 60 mm Länge und 2,7 – 4,3 mm Breite. Die deutlich kürzeren Seitenlappen sind linealisch abgespreizt und gedreht, Lange 7 – 28 mm lang und 1,4 – 2 mm breit. Der kegelförmige Sporn ist abwärts gerichtet, 4 – 5 mm lang und 1,8 – 2,3 mm breit. Die Pollinarien sind gelblich grün, langgestielt. Die Früchte sind 13 – 16 mm lang.
Vegetations- und Blühzeiten
Die Blütezeit beginnt Mitte Mai. Die Bestäubung erfolgt durch Solitärbienen der Gattung Andrena, auch durch Honigbienen. Aus dem Samen kann sich nach ca. sieben Jahren ein blühendes Exemplar entwickeln. Die weitere Lebensdauer ist auf wenige Jahre beschränkt.
Variabilität
Variabel ist die vor allem die Lippenform und deren Farbe. Eine nomenklatorische Erfassung der natürlichen, kleinräumigen Variationsbreite erscheint nicht notwendig. Eine später blühende Varietät wurde aus dem saarländisch-lothringischen Grenzgebiet beschrieben, die bis in die Regionen Drome und Ardeche in Südfrankreich vorkommt.
Hybriden
Hybriden sind nur mit H. adriaticum aus Italien bekannt.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Die Art ist in Mitteleuropa nicht verwechselbar.
Wuchsorte
Die Art kommt in lichten Wäldern, an Gebüschsäumen und auf Magerrasen auf kalkreichen Böden vor.
Verbreitung
Himantoglossum hircinum ist als wärmeliebende Art in Mitteleuropa inzwischen weit verbreitet. In Süddeutschland liegen die Verbreitungsschwerpunkte in klimatisch begünstigten Lagen wie dem südlichen Oberrhein, Kraichgau, Gäulandschaften, Nordtrauf der Schwäbischen Alb, Main-Tauber-Region. Etliche Vorkommen gibt es ebenfalls in günstigen Lagen im Saarland sowie Rheinland-Pfalz, auch Hessen und Thüringen. Gebietsweise sind vermutlich infolge der Klimaerwärmung Neubesiedlungen auch aus anderen Bundesländern bekannt geworden, nachdem historische Fundorte des 19. Jahrhunderts aus Hessen, Süd-Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen infolge von Klimaschwankungen zwischenzeitlich erloschen waren.
Gefährdung
Die Art war in der Vergangenheit durch die Ausdehnung der Siedlungsgebiete sowie die Intensivierung der Landwirtschaft gefährdet. Gegenwärtig steht die Erhaltung der Biotope und der Schutz vor Verbuschung im Vordergrund. Hauptrisiko und Chance der weiteren Verbreitung ist die klimatische Entwicklung. Ein Risiko sind im Spätwinter Kahlfröste bei unbedecktem Boden.
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Baumann, H. (2005): Himantoglossum hircinum (L.) Spreng.- In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg): Die Orchideen Deutschlands: 477 – 481.- Uhlstädt-Kirchhasel.
Baumann, H., Künkele, S. & R. Lorenz (2006): Die Orchideen Europas mit angrenzenden Gebieten:- Stuttgart.
Kreutz, C.A.J. & P. Steinfeld (2013): Himantoglosum hircinum var. aestivalis, eine spätblühende und lockerblütige Sippe der Bocks-Riemenzunge.- J. Eur. Orch. 43 (2-4): 317-328.
Künkele, S. & H. Baumann (1998): Orchidaceae. Kap. 20. Himantoglosum. - In: Sebald, O., Seybold, S. Philippi, G. & A. Wörz (Hrsg): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württemberg, Band 8: 400 - 403. - Eugen Ulmer KG, Stuttgart.
Text: Dietrich Bergfeld
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